Papusza, Polen
Zu den berühmtesten Dichterinnen der Roma gehört Papusza. (Das sz spricht man wie sch aus). In ihren Papieren stand Bronisława Wajs, doch Papusza war ihr Roma-Name. Er bedeutet Puppe. Sie stammt aus der Gruppe der polnischen Tiefland-Roma, die seit Jahrhunderten in den Gebieten von Polen und Litauen wanderten. Laut amtlichem Eintrag ist ihr Geburtstag der 30. Mai 1910, doch möglicherweise wurde sie schon 1908 oder 1909 geboren. Als Papusza 5 war, starb ihr Vater in Sibirien. 8 Jahre später heiratete ihre Mutter Jan Wajs, der zu einem Clan wandernder Harfenspieler gehörte. Der Wajs-Clan bewahrte im Familienbesitz ein Dokument auf, das belegte, dass ihre Vorfahren schon vor mehr als 200 Jahren am Hof der polnischen Königin aufgetreten waren.
Lesen und schreiben lernte Papusza mit ca. 12 Jahren von den Kindern der Bauern, die sie traf: “ „Bis ins Alter von zwölf Jahren konnte ich weder Schreiben noch Lesen. Ich wollte so sehr Schreiben und Lesen lernen, doch meine Familie schenkte mir keine Beachtung. Mein Stiefvater war ein Trinker und Spieler und meine Mutter wusste nicht, was es bedeutete, Lesen, Schreiben und Rechnen zu können, oder was ein Kind lernen musste. Also wie lernte ich es? Ich bat die Kinder, die zur Schule gingen, mir zu zeigen, wie man die Buchstaben schreibt. Ich stahl immer irgendetwas und brachte es ihnen, damit sie mir etwas zeigten, und so lernte ich a, b, c, d und so weiter.“ Auch eine jüdische Buchhändlerin gab ihr im Tausch für ein gestohlenes Huhn Unterricht. Papusza las viel und bat ihre Familie, sie in die Schule zu schicken, doch das wurde abgelehnt. Mit 15 oder 16 Jahren wurde sie mit dem viel älteren Harfenisten Dionizy Wajs, einem Verwandten ihres Stiefvaters, verheiratet. Die Ehe war nicht glücklich.
Während des 2. Weltkriegs versteckte sich der Clan in den Wäldern. Wagen und Pferde ließen sie zurück, doch die schweren Harfen wurden auf dem Rücken mitgetragen. Papusza erzählt davon in ihrem längsten Gedicht: „Ratfale jasfa – so pal sasendyr pšegijam upre Volyň 43 a 44 berša“ („Blutstränen – was wir von den deutschen Soldaten in Volyň ’43 und ’44 ertragen mussten“).
1949 traf der polnische Wissenschaftler und Literat Jerzy Ficowski Papusza. Er erkannte ihre große Begabung und veröffentlichte ihre Gedichte im Romani-Original und in polnischer Übersetzung in Literaturzeitschriften und später in einem Buch. Ficowski war mit Roma-Gruppen gereist und hatte ihre Bräuche studiert. So wurde er Berater der polnischen Regierung für „Zigeunerfragen“. Die Regierung wollte die Roma sesshaft machen und sie zwingen, reguläre Arbeit anzunehmen. Den Roma erschien Papsza als Verräterin, weil Ficowski sie förderte und in der Öffentlichkeit so tat, als ob sie die Politik der Regierung unterstützte. Sie wurde vom Baro Šero (das heißt „Großes Haupt“, oder Ältester) für mahrime (rituell unrein) erklärt und aus der Gemeinschaft der Roma ausgeschlossen. Nach diesem Schock verbrachte sie 8 Monate in einer psychiatrischen Anstalt. Danach lebte sie bis zu ihrem Tod 1987 zurückgezogen in der westpolnischen Stadt Gorzów Wielkopolski. Erst in den frühen 70er Jahren schrieb sie noch einige Gedichte, bevor sie endgültig verstummte. An ihrem Wohnhaus in der Kosynierów-Gdyńskich-Straße erinnert eine Gedenktafel an sie.
Die Zeit der wandernden Zigeuner –
ach – die Zeit ist längst vergangen.
Aber ich seh sie.
Sie sind hell wie das Wasser,
das starke, das klare
wenn es dahinfließt.
Und man könnte wohl meinen,
dass es sprechen möchte.
Das arme, es hat keine Worte
zum Sprechen, zum Singen.
Immer nur silbern plätschern kann es
und rauschen wie Blut in den Adern,
das sprechende Wasser.
Nur das Pferd, das im Wiesengrund grast,
nicht weit vom Stall,
hört zu und versteht das Rauschen.
Doch das Wasser, es schaut nicht zurück,
es flieht und fließt immer weiter
dorthin, wo kein Aug es mehr sieht,
das Wasser, das wandert…