Geschichte und Kultur der Roma und Sinti – von Martin Auer

Auf dem Pferdemarkt

Yan Yoors ist unter Roma aufgewachsen und hat ein Buch darüber geschrieben:

Die nächsten Tage vergingen in lebhafter Vorbereitung für den jährlichen Pferdemarkt in der Bezirksstadt. Die Stimmung war friedlich, und jeder hütete sich, irgend etwas zu tun, was sie alle zu raschem Aufbruch hätte zwingen können. Die Pferde mussten frisch und ausgeruht sein. Die Weide am Lagerplatz war gut, und um ihre Fresslust und ihren Durst noch zu steigern, bekamen sie eine Portion Salz. Sie wurden sorgfältiger als sonst geputzt und gestriegelt, ihre Hufe wurden poliert, und einige wurden sogar neu beschlagen. Die Rom verbrachten den ganzen Tag auf der Weide, sprachen miteinander über ihre Pferde und stellten Mutmaßungen über die Preise an, die man für sie erzielen konnte. Sie erklärten den Jungen, wie man die Vorzüge ins rechte Licht rücken und die Nachteile verbergen musste. Kaufte man dagegen von einem Gadjo ein Pferd, dann gab es viele Tricks, die offensichtlichen Qualitäten des Tieres abzuschwächen, indem man es zum Beispiel leicht aus dem Tritt brachte oder seinen Kopf eine Spur tiefer hielt, als es ihm angenehm war. Die Rom nahmen nur die besseren Pferde mit, denn da sie jedes Jahr wiederkamen, war ihnen daran gelegen, mit den anderen Händlern in gutem Einvernehmen zu bleiben. Pulika besaß damals gerade ein Gespann kräftiger, sogenannter „belgischer“ Ackerpferde, die er als Zugpferde benutzte, und einen lebhaften, grauen Vollbluthengst, der hinten am Wagen lief und uns viel Mühe machte. Als wir die Gegend wieder verließen, hatte Pulika unsere guten Pferde gegen schlechtere eingehandelt. Die Differenz im Preis wurde ihm in bar vom Verkäufer ausgezahlt. Er war immer bereit, unsere Tiere auszutauschen, anscheinend aus Freude am Spiel. So hatten wir meist ein paar Pferde, die eine ganze Sammlung von Mängeln aufwiesen. Manche waren nur widerspenstig, und ihre Besitzer hatten die Hoffnung aufgegeben, sie zur Räson zu bringen, und wollten sie gern loswerden. Andere waren misshandelt und überbeansprucht worden, wieder andere waren falsch zugeritten und bockig, manche hatten eiternde Wunden von schlecht sitzendem Geschirr, einige litten an Kurzatmigkeit, alle jedenfalls waren, als Pulika sie kaufte, zur Feldarbeit untauglich. Meist brauchten sie nur ausgiebige Ruhe, gutes Futter und verständnisvolle Behandlung. Nicht selten kaufte Pulika fünf oder sechs solcher Pferde. Er verbrachte den ganzen Tag auf der Weide und redete ihnen mit tiefer, beruhigender Stimme zu. Er bewegte sich langsam, um sie nicht zu erschrecken, und sie beobachteten ihn neugierig. Er ließ sie zur Ader, gab ihnen Mittel zum Abführen oder gegen Würmer ein. Es gelang ihm immer, aus den Pferden wieder etwas zu machen. Bei guter Gelegenheit verkaufte er sie dann wieder, natürlich an ganz anderen Orten, wo niemand sie kannte. Pulika verstand sich auf Pferde ebenso gut wie auf Menschen. Am Tag des Pferdemarktes standen wir Jungen schon vor Tagesanbruch auf. Wir flochten den Pferden die glänzenden Mähnen und Schweife, banden die Flechten mit leuchtend roten Bändern zusammen und machten uns mit der ganzen Herde noch vor dem Frühstück auf den Weg zur Stadt. Wir – Kore, Nanosh, Zurka, Yayal und noch ein paar andere – ritten vornweg, ohne Sattel, die übrigen Pferde folgten uns von selbst in schnellem Trab, unruhig schnaubend und gelegentlich ausschlagend, und wirbelten eine große Staubwolke auf. Die älteren Männer und einige Frauen sollten später mit dem Taxi nachkommen. Mehrere Stunden ritten wir so, während die Sonne am Himmel höher stieg, um uns her das dumpfe Hufgetrappel, hier und da ein Peitschenknall, das Wiehern eines Pferdes und die hellen Rufe der Jungen, um die Pferde anzutreiben. Allmählich wurde es heiß, die Pferde dampften und strömten einen starken Schweißgeruch aus. Der schnelle Ritt, der stetige Hufschlag und die starken, muskulösen Flanken des Tieres, das auf jeden Druck meiner Knie und Fersen reagierte, gaben mir ein berauschendes Gefühl von Macht. Es war noch früh am Morgen, als wir auf dem Markt ankamen. Es sah aus wie ein Meer von sich sanft bewegenden Pferdeleibern. Jedes Tier war an einem langen Seil zwischen starken Metallpfählen angebunden. Die staatlich angestellten Tierärzte in ihren langen, weißen Mänteln, umgeben von einer Wolke intensiv riechender Desinfektionsmittel, untersuchten alle neu hinzukommenden Pferde und drückten jedem einen weißen Stempel auf die Kruppe. (…) Bidshika bestellte als erster eine Runde. Obwohl es noch nicht zehn Uhr morgens war, hatten sich doch schon fünfundzwanzig bis dreißig Rom versammelt. Sie hielten ihre langen Pferdepeitschen in der Hand, und am linken Ellenbogen hingen ihre schweren Spazierstöcke mit den geschwungenen Krücken. Der Wirt brachte dreißig Flaschen dunkles, starkes Bier. Um den Tag gut zu beginnen, bestellte Kalia weitere dreißig, noch ehe die ersten ausgetrunken waren. Die drei Brüder Luluvo, Bidshika und Kalia, die Söhne vom alten Putzi, dem Toten, waren auf dem Pferdemarkt wichtige Personen. Das Geschäft ging flott: Debatten über Preis und Qualität, sachkundige Verkaufsgespräche und lautstarkes Bieten, verstärkt durch Schläge auf die ausgestreckte Handfläche des Verkäufers, der seine Gegenforderung machte und seinerseits in die Hand des Bietenden schlug. Jungen und junge Männer holten die Pferde herbei und führten sie zum Begutachten vor. Das Bieten ging entweder im Gasthof oder vor der Tür vor sich. War ein Handel abgeschlossen, bekam der Junge ein Trinkgeld. Ein uralter Gadjo ging mit einem riesigen Bündel Peitschen umher und pries sie zum Verkauf an.(…) Auf dem Pferdemarkt waren die Zigeuner in ihrem Element. Die meisten waren den Pferdehändlern bekannt, und jeder wurde ernst genommen. In der Innenstadt traten sie in großen, lärmenden Gruppen auf. Es war noch Nachmittag, aber sie hatten reichlich getrunken und waren nun in aufgeräumter, festlicher Stimmung. Fast alle hatten ein gutes Geschäft gemacht, aber auch abgesehen davon war der jährliche Pferdemarkt ein wichtiges Ereignis, das nur mit geräuschvollen Feiern beendet werden konnte. Unter den Städtern fielen die glutäugigen, langhaarigen Rom, die sich mit munterer Selbstsicherheit bewegten, natürlich auf, und manche Gadje blieben stehen und schauten ihnen verblüfft nach. Das waren die Leute, von denen Pulika sagte, sie lägen ihr Leben lang nur auf einer Seite.

Yoors, Jan (1970) Die Zigeuner. Stuttgart, S. 109-113