Geschichte und Kultur der Roma und Sinti – von Martin Auer

Rassistische Lehren

Im 19. Jahrhundert machten die Wissenschaften der Medizin und der Biologie große Fortschritte. Doch in jeder Wissenschaft gibt es immer wieder Überlegungen und Spekulationen, die sich später als falsch erweisen. Auch Wissenschaftler haben Vorurteile und manche sehen bei ihren Forschungen nur das, was ihre Vorurteile bestätigt und übersehen alles, was dagegen spricht. 1855 schrieb ein französischer Graf, Arthur Gobineau, eine „Abhandlung über die Ungleichheit der Rassen“[1]. Zu den höheren Rassen zählte er die „Arier“, an deren Spitze die „nordischen Völker“ stehen sollten. Nach seiner Meinung waren Mischlinge minderwertig, darum lehnte er jede Vermischung der Völker ab.

1876 veröffentlichte der Italienische Psychiater Cesare Lombroso das Buch „Der verbrecherische Mensch“. Darin behauptete er, dass manche Menschen als Verbrecher geboren werden, dass sie eine erbliche Veranlagung zum Verbrechertum haben. Er glaubte auch, dass man solche Menschen an ihrem Äußeren erkennen könnte, zum Beispiel an zusammengewachsenen Augenbrauen. Zu den geborenen Verbrechern zählte Lombroso auch die Zigeuner.

Nach heutigem Stand der Wissenschaft sind diese Theorien völlig unhaltbar. Alle Menschenrassen in allen Gebieten der Erde mussten die unterschiedlichsten Schwierigkeiten meistern und die dazu notwendigen geistigen und körperlichen Eigenschaften entwickeln. Heute weiß man auch, dass geistige, körperliche und seelische Eigenschaften nicht aneinander geknüpft sind, jedenfalls nicht so, dass man einen Verbrecher an der Kopfform oder den Augenbrauen erkennen könnte. Es gibt auch keine „reinen“ Rassen, denn überall und zu allen Zeiten haben sich die Menschen miteinander vermischt, und das ist auch gut so. Es kann keinen „idealen“ Menschen geben, denn die Welt verändert sich ständig, und wir können heute gar nicht wissen, welche Eigenschaften für die Menschen der Zukunft besonders günstig sein könnten.

Warum konnten solche falschen Lehren so lange als wissenschaftlich erwiesen gelten? Warum haben so viele Menschen diese Lehren geglaubt? Die meisten Menschen haben sowieso nicht die Zeit und nicht die Ausbildung, um eine Theorie, die ihnen als wissenschaftlich präsentiert wird, zu überprüfen. Die meisten Menschen glauben schlicht und einfach das, was ihnen in den Kram passt. Wenn einem gesagt wird: „Du gehörst einer höheren Rasse an“, dann wird man das gerne glauben, besonders, wenn man daraus den Schluss ziehen kann, dass man die Menschen anderer Rassen straflos unterdrücken und ausnützen darf. An den Universitäten und Akademien müssten aber doch Menschen zu finden sein, die solche Theorien widerlegen können? Leider ist es so, dass auch an den Universitäten Menschen forschen und lehren, die nicht der Wahrheit zuliebe forschen, sondern um Karriere zu machen. Und wenn sie sehen, dass eine Theorie besonders begünstigt wird, dann suchen sie eifrig nach allem, was die Theorie bestätigen könnte, und übersehen und ignorieren unbewusst oder absichtlich alles, was gegen die Theorie spricht.

Herr Gobineau behauptete, dass nur die weiße Rasse hoch stehende Kulturen schaffen könnte. Dabei wusste er, dass es zum Beispiel in China oder in Amerika Jahrtausende alte Hochkulturen gab. Aber weil das nicht in sein Konzept passte, zog er einfach den Schluss: Da müssen irgendwann Weiße hingekommen sein, die diese Kulturen aufgebaut haben.


[1] „Essai sur l’inégalité des races humaines“