Geschichte und Kultur der Roma und Sinti – von Martin Auer

„Vorbeugende Verbrechensbekämpfung“

Im Jahr 1899 wurde in München der „Zigeuner-Nachrichtendienst“[1] bei der Kriminalpolizei geschaffen. Der Leiter, Kriminalrat Alfred Dillmann, veröffentlichte 1905 ein „Zigeunerbuch“, das „zum Zwecke einer nachdrücklichen Bekämpfung des Zigeunerunwesens“ an alle Behörden ausgegeben wurde. Ab 1927 wurden in Deutschland alle Zigeuner von der Polizei „erkennungsdienstlich erfasst“. Das heißt, dass man ihnen die Fingerabdrücke abnahm, Fotos machte und ihre persönlichen Daten wie in einer Verbrecherkartei sammelte. Das galt sogar für Kleinkinder und Säuglinge. Man nannte das „Vorbeugende Verbrechensbekämpfung“.

Polizeikontrolle in Deutschland 1925

Polizeikontrolle in Deutschland 1925

Auch in Österreich ging man ähnlich vor. Als das Burgenland 1921 zu Österreich kam, wurden nun auch einige tausend Roma österreichische Staatsbürger. Ab 1926 wurden alle Roma über 14 Jahre mit Fingerabdrücken und Fotos in der „Zigeunerkartothek“ des Bundespolizeikommissariats Eisenstadt verzeichnet. Die Roma wurden gezwungen, in ihren Heimatgemeinden zu bleiben. Wenn sie in ihrem Dorf aber keine Arbeit hatten und woanders Arbeit suchten, verstießen sie gegen das Gesetz. Wenn sie erwischt wurden, waren sie vorbestraft. Wenn man nun nachweisen wollte, dass die Zigeuner asozial und von Natur aus verbrecherisch veranlagt waren, dann wurden solche Verstöße gegen die Aufenthalts- und Meldebestimmungen mit Diebstählen und Einbrüchen in einen Topf geworfen.

Auch in Ungarn wurde 1928 eine „Registrierung derWanderzigeuner“ verfügt. 1931 wurde die Ausübung des Wandergewerbes verboten. Die Roma durften nicht außerhalb ihrer Heimatgemeinde arbeiten. Doch in der Heimatgemeinde war die Arbeitserlaubnis von der Zustimmung des Gemeinderats abhängig. So wurde den Roma jede Möglichkeit genommen, ihren Lebensunterhalt auf legale Weise zu verdienen. 1938 erschien folgerichtig ein Erlass, dass jeder Zigeuner automatisch als verdächtige Person anzusehen sei.

In England versuchte der Parlamentsabgeordnete George Smith das Leben der Roma per Gesetz zu reglementieren und unter die Kontrolle der Polizei zu stellen. Mehrmals wurde im Parlament über das „Gesetz über Fahrbare Behausungen“[2] abgestimmt. Um das Gesetz zu bekämpfen, wurde 1889 die „Showmens Guild“, also die Schausteller-Gilde gegründet. In dieser Organisation schlossen sich die Landfahrer zusammen, die mit ihren Attraktionen von Jahrmarkt zu Jahrmarkt reisten. Roma und Nichtroma waren darin vertreten. Auf jedem Jahrmarkt wurden Flugblätter verteilt und große Versammlungen wurden abgehalten, auf denen die Schausteller gegen das Gesetz protestierten. Das Gesetz trat nie in Kraft, doch einzelne Bestimmungen wurden später weniger auffällig als Teil von anderen Gesetzen beschlossen.

Auch in Serbien und Bulgarien wurde schon Ende des 19. Jahrhunderts das „Nomadisieren“ verboten. In der Tschechoslowakei wurde die „zigeunerische Lebensweise“ 1926 untersagt, und die Behörden bekamen die Erlaubnis, Roma-Kinder unter 14 Jahren von ihren Eltern zu trennen und in Kinderheimen unterzubringen.

In Frankreich wurden 1912 eigene Ausweise für Fahrende mit Foto und Fingerabdrücken und der Registrierungsnummer des Wagens geschaffen. Sie wurden noch bis 1970 verwendet! An vielen Gemeindegrenzen wurden Schilder aufgestellt: „Für Nomaden verboten“.

Polizeikontrolle in Frankreich

Polizeikontrolle in Frankreich

Ende des 19. Jahrhunderts verboten Argentinien und die USA den Roma die Einreise.

Anfang des 20. Jahrhunderts verhängten Schweden, Dänemark und Norwegen Einwanderungsverbote für Roma.


[1]„ Nachrichtendienst in Bezug auf die Zigeuner“

[2] „Movable Dwellings Bill“