Geschichte und Kultur der Roma und Sinti – von Martin Auer

Der Rom und der Drache (Bukowina)

Da war einmal ein Rom, und da war ein Bauer, der seine Schafe gehütet hat. Und jede Nacht sind dem Bauern zwei Schafe weggekommen oder auch drei. Der Bauer kam zu seinem Gevatter, dem Rom, und der fragt ihn: „Hallo Gevatter, was ist los mit dir, dass du so bekümmert schaust?“

Da sagt der Gadjo zu dem Rom: „Ach, soll ich nicht bekümmert sein, wenn mir wer – und ich weiß nicht wer – so großen Schaden zufügt!“

„Ist recht, ich helfe dir, denn ich weiß schon, wer das ist. Sag deiner Frau, sie soll mir auf heut Abend zwei große Käse machen, so groß! Und sie soll mir ein gutes Brot backen zum Nachtmahl. Ich komme und esse heute mit dir. Dann geh ich und kümmere mich um deine Schafe.“

Nun gut. Der Rom ging und aß ein gutes Nachtmahl bei dem Gadjo. Die Nacht kam, und der Rom ging zu den Schafen. Und die Käse steckte er in die Tasche, und in der Hand hielt er einen eisernen Stecken, der wog drei Zentner, und dazu hatte er sich einen leichten hölzernen Stecken gemacht. Und er machte sich auf zur Schafhürde. Dort war niemand außer dem Knecht des Schafhirten.

„Geh heim, mein Junge“, sagte der Rom, „und ich werde hier bleiben!“

Mitternacht kam. Der Rom machte sich ein großes Feuer, und schon kam der Drache daher zu dem Rom am Feuer.

Er sagte zu ihm: „Na warte du, was treibst du hier. Ich fick deine Mutter für das!“

„Wollte bloß sehen, ob du wirklich so ein starker Kerl bist, auch wenn du jede Nacht drei Schafe frisst! Setz dich her zu mir und lass uns einen kleinen Wettstreit machen, dass wir sehen, wer stärker ist. Schmeiß diesen Stecken da so hoch in die Luft, dass er oben bleibt und nie mehr runterkommt!“ Und er gab dem Drachen den eisernen Stecken, der drei Zentner wog. Der Drache wirft, und warf ihn so hoch, dass der Stecken irgendwo oben im Himmel blieb.

„Und jetzt wirf du!“ sagte der Drache zu dem Rom.

Der Rom warf den leichten hölzernen Stecken, und er warf ihn irgendwo hinter sich, so dass der Drache es nicht sehen konnte, und der Drache meinte, er hätte ihn auch da hin geworfen, wohin er geworfen hatte.

„Also dann!“ sagte der Rom, „setzen wir uns. Wir wollen sehen ob du wirklich was kannst. Nimm diesen Stein und drück ihn so, dass das Wasser rausrinnt und das Blut, siehst du, so!“ Der Rom nahm den Käse. Er quetschte ihn, bis das Wasser herausrann. Dann sagte er zu dem Drachen: „Jetzt nimm du ihn und drück!“

Er gab ihm einen Stein in die Hand, und der Drache drückte und drückte, bis ihm das Blut aus der Hand sprang. „Ich seh schon,“ sagte er zu dem Rom, „du bist besser als ich!“

„Dann setz mich jetzt auf deinen Rücken und bring mich zu deiner blinden Mutter!“

Sie kamen zu seiner blinden Mutter. Furcht ergriff sie, denn wo hat man sowas schon gehört, dass der Drache den Rom auf seinem Rücken trug.

„Und jetzt gebt ihr mir alles, was ich will!“

„Aber ja, ich gebe dir soviel Geld, wie du tragen kannst, und soviel Essen, wie du möchtest, Essen und Trinken. Nur lass mich und meine Mutter leben. Und ich werde auch keine Schafe mehr holen!“

„Na gut, ist recht. Ich könnte dich auf der Stelle umbringen und deine blinde Mutter dazu. Also schwör mir, dass du nie mehr zu dem Bauern gehst und seine Schafe verschlingst!“

Und gleich schwor er’s ihm, dass er nicht mehr hingehen wollte.

„Jetzt musst du mir Geld geben, Gold und Silber, und dann musst du mich auf deinen Rücken nehmen und mich heimtragen.

Gut und schön. Er gab ihm das Geld und nahm ihn auf den Rücken und trug ihn heim mitsamt dem Geld. Die Frau des Rom sieht sie: „Meine Güte, was ist das?“ Und die Kinder – er hatte eine Menge – liefen heraus. Der Drache hatte schreckliche Angst und lief davon. Er schmiss das Geld weg und ließ es dort. Der Rom war so reich, dass es seinesgleichen nicht gab. Er war gerade wie ein Edelmann. Und wenn er nicht tot ist, dann lebt er noch mit seiner Frau und seinen Kindern.