Geschichte und Kultur der Roma und Sinti – von Martin Auer

Ungarische Zigeunermusik

Cymbalspieler

Cymbalspieler

Der Einfluss der Roma auf die Musik in Ungarn war so groß, dass man die ungarische Volksmusik lange Zeit mit Zigeunermusik gleichgesetzt hat. Das älteste Dokument, in dem vom Roma-Musikern berichtet wird, stammt aus dem Jahr 1489. Es erzählt von der Hochzeit des Kaisers Matthias Corvinus, der auch König von Ungarn war, mit Beatrice von Aragon und erwähnt, dass der Kaiser viele Zigeunermusiker in seinen Diensten hatte. Schon damals wird das Cymbal erwähnt, das für die Musik der ungarischen Roma typisch ist. Beim Cymbal, einer Form des Hackbretts, werden die Saiten mit kleinen Schlägeln zum Klingen gebracht.

Das Cymbal: Diabolske Husle – Chave Romane

Roma-Musiker spielten nicht nur bei den Festen der ungarischen Gutsherren auf, sie mussten ihre Herren auch in die Schlacht begleiten, um den Soldaten mit ihrer Musik Mut zu machen. Fast alle Adeligen hielten an ihrem Hof Roma-Musiker.

Kaiserin Maria-Theresia, sonst keine Freundin der Roma, bewunderte den Cymbalisten Simon Banyak so sehr, dass sie ihm ein Instrument aus Kristall schenkte und ein Dekret erließ, das den Roma ausdrücklich gestattete, bei Hochzeiten und anderen Festen zu musizieren.

Panna Cinkova
An ihrem Hof trat auch Panna Cinová auf. Diese außergewöhnliche Musikerin wurde wahrscheinlich 1711 geboren. Ihr Vater Sándor Cinka war Musiker am Hof eines ungarischen Adeligen. Schon mit neune Jahren versetzte sie ihre Familie mit ihrem wunderbaren Geigenspiel in Erstaunen. Mit 14 Jahren heiratete sie einen Schmied und Musiker, mit dem sie vier Söhne und eine Tochter bekam. Sie gründete eine Kapelle mit ihrem Mann und ihren Schwägern. Später trat sie zusammen mit ihren Söhnen auf. Sie spielte nicht nur Volksmusik und Tänze der Zeit, sondern auch ihre eigenen Kompositionen, die noch heute gespielt werden.

Der große Komponist Joseph Haydn, der lange Jahre Kapellmeister der Fürsten Eszterhazy in Eisenstadt war, nahm Roma-Musiker in sein Orchester auf.

Auch in den Städten der Österreichisch-Ungarischen Monarchie spielten virtuose Zigeunerkapellen in Konzertsälen ebenso wie in Cafés und Wirtshäusern. Hier entstand der Csárdás, der ungarische Nationaltanz. Das Wort bedeutet „Wirtshaustanz“, denn eine Csárdá ist ein Wirtshaus. Die typische Besetzung so einer Kapelle ist bis heute Geige, Bratsche, Kontrabass und Cymbal, aber es können auch noch andere Instrumente, zum Beispiel Klarinette und Blechblasinstrumente dabei sein.

János Bihari 1764 - 1827

János Bihari 1764 - 1827

János Bihari gründete mit 18 Jahren eine Zigeunerkapelle, mit der er ganz Europa bereiste. Er komponierte viele Verbunkos und Csárdás. 1814 spielte er vor dem Wiener Kongress. Ludwig van Beethoven und Franz Liszt schätzten ihn sehr.

Lajos Horvath und seine Zigeunerkapelle – Czardas:

Lukács Tibor:

Viele große klassische Komponisten Österreich-Ungarns komponierten Musik, die von Zigeunerweisen inspiriert war, zum Beispiel Franz Liszt in seinen Ungarischen Rhapsodien. Er schrieb auch ein Buch Über die Zigeuner und ihre Musik in Ungarn, 1859.

Wladimir Horowitz spielt: Franz Liszt, Ungarische Rhapsodie Nr 2

Johannes Brahms komponierte Ungarische Tänze und Zigeunerlieder.

Roby Lakatos spielt: Johannes Brahms, Ungarischer Tanz Nr. 5
(Roby Lakatos ist ein Nachkomme von Janos Bihári)

Für seine Operette Die Fledermaus komponierte Johann Strauß einen Csárdás. Auch in seiner Operette Der Zigeunerbaron gibt es viele Anklänge an Roma-Musik. Das Leben der Roma freilich wird in dieser Operette verkitscht und romantisiert gezeigt und entspricht überhaupt nicht der Wirklichkeit.

Karita Mattila singt Czardás aus „Die Fledermaus“ von Johann Strauß:

Im 20. Jahrhundert verwendeten die ungarischen Komponisten und Volksmusikforscher Zoltán Kodály und Béla Bartók die Rhythmen und Tonarten der Roma in ihrer Musik. Später betonten sie, dass ungarische Volksmusik nicht dasselbe sei wie Zigeunermusik und bemühten sich, diese Gleichsetzung zu bekämpfen.

Balogh Kalman spielt ein Stück von Bela Bartok

Die Roma, die Berufsmusiker waren, brachten die Musik der Dörfer in die Städte und die Musik der Städte in die Dörfer. Sie spielten den Wiener Walzer ebenso virtuos wie den Csárdás, sie gingen mit der Zeit und mit der Mode und sie setzten selber die Modetrends. Die Musik der Dorfbevölkerung war sicher stärker der Tradition verbunden, doch der Einfluss der Roma war so groß, dass bis heute darüber gestritten wird, wo die Grenze zwischen „ungarischer“ und „Zigeuner“-musik ist und wodurch sie sich unterscheiden.