Sara la Kali und die indische Göttin Durga
Jedes Jahr am 25. Mai findet in Saintes Maries de la Mer, einem kleinen Ort in Südfrankreich, eine große Prozession zu Ehren der heiligen Sara statt. Tausende Roma aus der ganzen Welt versammeln sich hier, um ihre Schutzheilige zu verehren. Die Roma nennen sie Sara la Kali, die schwarze Sara. Die Statue wird mit Blumen geschmückt zum Meer getragen. Die Träger gehen mit ihr so weit ins Wasser, bis die Plattform, auf der sie steht, die Wasseroberfläche berührt.
Dieses Ritual erinnert sehr an das indische Ritual zu Ehren der Göttin Durga oder Kali. Auch bei ihrem Fest, Durga Puja genannt, wird die Statue der Göttin in einer feierlichen Prozession zum nächsten Gewässer getragen. Allerdings wird die Statue ganz versenkt.
Die dunkelhäutige Figur der Heiligen Sara ist eine von drei Statuen, bei dem Fest verehrt werden. Die anderen beiden sind hellhäutig und stellen zwei „Marien“ dar. Doch die beiden Marien werden in einer eigenen Prozession am Vortag zum Meer getragen.
Die Legende erzählt, dass im Jahr 40 mehrere Anhänger des Jesus von Nazareth, die vor Verfolgung flüchteten, mit einem Schiff an der Küste Südfrankreichs landeten. Unter ihnen waren Maria Magdalena, Maria Salome von Galiläa und Maria des Kleophas. Von diesen „heiligen Marien“ hat der Ort seinen Namen: Les Saintes Maries de la Mer, „die heiligen Marien vom Meer“. Die dunkelhäutige Sara soll die Dienerin der drei Marien gewesen sein, die sie aus Ägypten mitgebracht hatten. Die drei Marien machten sich daran, eine christliche Gemeinde zu gründen, und Sara soll sie ernährt haben, indem sie um Almosen bettelte.
Ronald Lee[1] nimmt an, dass die Roma, als sie gegen Ende des Mittelalters nach Südfrankreich kamen, noch immer ihren hinduistischen Glauben hatten. Doch konnten sie ihren Glauben nicht offen zur Schau tragen, weil sie sonst als Ketzer verfolgt worden wären. In der dunkelhäutigen Sara sahen sie eine Figur, die ihrer schwarzen Göttin Kali oder Durga ähnelte.
Auch in Osteuropa verehren die Roma die Bilder von „schwarzen Madonnen“ an verschiedenen Orten, und auch muslimische Roma verehren die „Heilige Mutter“ oder E Guglí Sagíya, einen weiblichen Schutzengel.
1998 wurde das erste Sara la Kali Fest in Kanada abgehalten.
[1] Siehe das Kapitel über Ronald Lee weiter hinten.