Geschichte und Kultur der Roma und Sinti – von Martin Auer

Religion in Indien

Die  indische Religion, der „Hinduismus“, ist sehr alt. Die ältesten heiligen Schriften, die Veden, sind schon vor mehr als 3500 Jahren entstanden. Später kamen andere Schriften dazu, die Upanishaden, das Mahabharata und Ramayana. Diese Religion ist auf den ersten Blick recht verwirrend, denn sie kennt viele Götter, und jeder Gott und jede Göttin ist unter mehreren Namen bekannt und tritt in verschiedenen Gestalten auf. Diese drei Götterpaare sollte man kennen:

Brahma ist der Schöpfergott, der Gott, der die Welt erschaffen hat. Seine weibliche Seite (oder seine Ehefrau) ist Saraswati, die Göttin der Weisheit und der Musik, die auch die Schrift erfunden hat.

Saraswati

Saraswati

Vishnu ist der Erhalter. Er kommt immer wieder als Mensch oder auch als Tier auf die Erde, um für Gerechtigkeit zu sorgen. Manche Hindus meinen heutzutage, dass auch Jesus Christus eine Inkarnation (eine Verkörperung) dieses Gottes war. Zu Vishnu gehört Lakshmi, die Göttin des Glücks, der Harmonie und der Schönheit.

Shiva ist der Gott der Zerstörung. Er kann das Alte zerstören, damit Neues entstehen kann. Shiva wird meistens tanzend dargestellt. Solange Shiva tanzt, besteht die Welt weiter. Würde er aufhören, würde die Welt zerstört werden. Doch Shiva wird nie zu tanzen aufhören.

Shiva

Shiva

Seine weibliche Seite ist die mütterliche Göttin Parvati. Nach der Legende hat Parvati, während Shiva einmal nicht da war, einen Sohn modelliert und zum Leben erweckt, damit sie eine eigene Wache hatte. Sie nannte ihn Ganesha. Sie bat ihren Sohn, an der Tür zu wachen, während sie badete. Als Shiva zurück kam, verwehrte ihm Ganesha den Eintritt und Shiva schlug ihm im Zorn den Kopf ab. Aber dann bereute er und erweckte ihn wieder zum Leben. Er tötete einen Elefanten und setzte Ganesha dessen Kopf auf. Die mütterliche Parvati hat aber auch eine zornige, zerstörerische Seite. Als Zerstörerin wird sie Durga oder Kali („die Schwarze“) genannt und mit einer Kette aus Totenköpfen um den Hals dargestellt. Ohne Tod und Zerstörung kann nichts Neues entstehen, deshalb ist sie gleichzeitig die Göttin des Todes und der Mutterschaft. Hochzeiten werden im Tempel der Durga gefeiert.

Durga Kali

Durga Kali

Manche Hindus verehren als Hauptgottheit Vishnu, andere Shiva. Doch jede Gruppe erkennt auch die Bedeutung der anderen Gottheiten an. Manche meinen auch, dass letztlich alle Gottheiten nur unterschiedliche Verkörperungen des einen großen Gottes seien. Es gibt auch eine Richtung, die Shakti, das weibliche Prinzip, als höchste Gottheit  verehrt. Die Anhänger dieser Richtung verehren Durga als höchste Gottheit.

Doch die Götterverehrung ist nicht unbedingt das wichtigste im Hinduismus. Im Mittelpunkt des Glaubens steht die Vorstellung, dass Menschen, Tiere und auch Götter die Weltzeitalter in einem Kreislauf der Wiederkehr durchwandern. Dieser Kreislauf heißt Samsara. Jede Tat eines Lebewesens hat Folgen, entweder in diesem Leben oder in einem der nächsten Leben. Die Folgen all dieser Taten sind das Karma. Wer gute Taten vollbringt, wird im nächsten Leben auf einer höheren Stufe wiedergeboren. Ein Tier kann als Mensch, ein Mensch als Gott wiedergeboren werden. Schlechte Taten führen dazu, dass die Seele auf einer niedrigeren Stufe wiedergeboren wird. Doch das eigentlich Ziel ist es, von der Wiedergeburt gänzlich erlöst zu werden. Diese Erlösung heißt Moksha. Sie bedeutet, dass die Seele sich mit der göttlichen Seele, dem Brahman vereinigt. Moksha kann auf verschiedenen Wegen erlangt werden: durch die liebende Hingabe an Gott, durch selbstlose Taten oder durch das Streben nach Weisheit.

Wichtige Ideale sind Gewaltlosigkeit, Wahrhaftigkeit, nicht nach fremdem Eigentum zu streben und nichts zu tun, was vom Streben nach Weisheit ablenken könnte.

Ab dem 8. Jahrhundert sind immer wieder muslimische Eroberer in Indien eingedrungen. Doch wenn es stimmt, dass die Roma vor diesen Eroberern geflohen sind, werden sie damals wohl noch Anhänger einer hinduistischen Glaubensrichtung gewesen sein. Wann sie diesen Glauben abgelegt haben, wissen wir nicht. Die byzantinischen Kirchenherren haben sie jedenfalls nicht als Christen und auch nicht als Muslime angesehen. Wir wissen, dass die Roma später in Europa jeweils die Religion der Menschen angenommen haben, unter denen sie lebten. Vielleicht hatten sie ja vom Hinduismus noch die Vorstellung  behalten, dass man Gott in vielen Gestalten verehren kann.