Geschichte und Kultur der Roma und Sinti – von Martin Auer

Der Boxer, der nicht siegen durfte

Der Sinto Rukeli Trollmann begann mit 8 Jahren zu boxen. Damals lebte er mit seinen Eltern und Geschwistern in Hannover. Geboren wurde er am 27.12. 1907 in Wilsche bei Gifhorn. Mit 18 Jahren war er Südkreismeister und mit 21  Jahren norddeutscher Meister im Halbschwergewicht. Sein Stil war berühmt: Er tanzte im Ring, wich den Schlägen der Gegner mit blitzschnellen Pendelbewegungen aus. Auf lange Schlagwechsel ließ er sich gar nicht ein, er ließ die Gegner einfach nicht an sich herankommen. Aber wenn er seine Chance sah, schlug er blitzschnell zu. Seinen ersten Profikampf gewann er 1929 in der vierten Runde. Sogar Schwergewichtsboxer konnte er schlagen. Am 26. Mai 1933 besiegt er den Schwergewichtler Otto Klickemann durch Ko. in der zweiten Runde.

Johann „Rukeli“ Trollmann, geb. 1907, ermordet 1944

Johann „Rukeli“ Trollmann, geb. 1907, ermordet 1944

Mit seinen schwarzen Locken und großen braunen Augen bezauberte Rukeli die Damen. Seit er für „Heros“ Hannover kämpfte, hatte kein anderer Klub soviele weibliche Zuschauer am Ring. Und er plauderte noch während des Kampfs mit seinen Verehrerinnen in den ersten Reihen.

Am 6. Juni 1933 trat Rukeli in der Bockbierbrauerei Berlin Kreuzberg gegen den Kieler Adolf Witt zum Kampf um die Deutsche Meisterschaft an. Adolf Witt war bärenstark, aber unbeweglich. Rukeli Trollmann tanzte ihn einfach aus. Der Präsident des Boxsportverbandes, ein Nationalsozialist, schaute mit steinerner Miene zu. Nach 6 Runden lag Trollmann nach Punkten klar in Führung. Da ließ der Präsident den Meisterkranz aus der Halle bringen. Nach dem Kampf wurde das Urteil verkündet: Kein Urteil, der Meistertitel wird nicht vergeben. Das Publikum tobte vor Entrüstung über diesen Skandal. Die Nazi-Funktionäre fürchteten um ihr Leben. Sie warfen Rukeli den Meisterkranz um den Hals und verschwanden. Rukeli weinte vor Freude.

Sechs Tage später bekam er Post vom Verband. Wegen seines „armseligen Verhaltens“, nämlich wegen seiner Freudentränen, wurde ihm der Titel wieder aberkannt.

Am 21. Juli 1933 wurde ein neuer Kampf angesetzt. Trollmann musste gegen den gefürchteten Nahkämpfer Gustav Eder antreten. Und der Verband machte ihm Vorschriften, wie er zu boxen hatte: Er durfte nicht tänzeln, er sollte „mit offenem Visier“ und „Fuß bei Fuß“ kämpfen. Sie verboten ihm also, den Schlägen des Gegners auszuweichen. Er sollte sich prügeln lassen, sonst würde er seine Lizenz verlieren.

Am Kampftag trat Trollmann mit großer Würde in den Ring. Seine Haare waren mit Wasserstoff blond gefärbt, und seinen Körper hatte er mit Mehl weiß bestäubt. Ein Zigeuner darf nicht Deutscher Meister werden? Gut, da habt ihr einen Arier! Das Publikum schwieg betreten. Rukeli stellte sich breitbeinig hin und ließ Eder angreifen. Fünf Runden lang nahm er die Schläge des Kleineren, obwohl er ihn leicht hätte austanzen können. Die SA-Leute im Publikum hatten keine Scham. Sie wollten nicht einmal so tun, als ob hier ein fairer Kampf stattfinden würde. „Leg dich, Zigeuner, oder wir holen dich!“ schrieen sie. In der fünften Runde brach Rukeli zusammen.

Rukelis Karriere als Berufsboxer war vorbei. Er boxte nur noch auf Rummelplätzen und arbeitete zwischendurch als Kellner. Um seine Frau und sein Kind vor der Verfolgung zu schützen, ließ er sich scheiden.

1938 musste er sich wie andere Sinti und Roma sterilisieren lassen, um nicht ins KZ zu kommen. 1939 wurde er zur Wehrmacht eingezogen und musste für die Nazis an der Ostfront kämpfen. 1942 kehrte er verwundet zurück. Da wurde er von der Geheimen Staatspolizei verhaftet und in das Konzentrationslager Neuengamme gebracht. Die SS-Leute vergnügten sich damit, den ehemaligen Boxstar nach Belieben zusammenzuschlagen. Dafür hielten sie ihn mit einer Extraration Brot noch eine Weile am Leben. 1943 hat ihn ein SS-Mann erschossen.

Erst im Jahr 2003 anerkannte der Deutsche Boxverband Johann „Rukeli“ Trollmann als Deutschen Meister im Halbschwergewicht für das Jahr 1933. Die Boxpromoterin Eva Rolle überreichte den Familienangehörigen einen neu gefertigten Meistergürtel. In Hannover wurde eine Gasse nach Johann Wilhelm Trollmann benannt.