Geschichte und Kultur der Roma und Sinti – von Martin Auer

Die Roma sollen sich anpassen

Kaiserin Maria Theresia versuchte einen neuen Weg, um das „Zigeunerproblem“ zu lösen. Wenn man die Roma nicht vertreiben und ausrotten konnte, dann sollten sie auf andere Weise zum Verschwinden gebracht werden: Sie sollten ganz genau so werden wie die übrige Bevölkerung, so dass man sie nicht mehr unterscheiden konnte. Sie sollten ihre eigene Lebensweise, ihre Bräuche und Anschauungen, ja sogar ihre Sprache aufgeben, und sich mit der übrigen Bevölkerung vermischen. Zuerst wurde den Roma verboten, Pferde und Wagen zu besitzen, damit sie nicht mehr umherziehen konnten. Sie mussten in Häusern leben und Bauern werden. Sie bekamen zwar Land und Saatgut von der Kaiserin, aber sie mussten auch von Anfang an dieselben Steuern und Abgaben zahlen wie andere Bauern, obwohl sie die Bauernwirtschaft erst erlernen mussten. Sie durften ihre Dörfer nur mit Erlaubnis der Obrigkeit verlassen. Besonders grausam war das Gesetz, dass Roma nicht mehr untereinander heiraten durften. Unter den Roma galt es schon als problematisch, jemanden aus einer fremden Gruppe zu heiraten, die einen anderen Dialekt sprach und ein anderes Handwerk ausübte. Man muss sich vorstellen, es würde ein Gesetz erlassen, dass Tschechinnen nur Japaner heiraten dürfen und Schweden nur Griechinnen! Am allerschlimmsten aber war der Befehl, den Roma ihre Kinder wegzunehmen! Alle Kinder über fünf Jahren sollten in weit entfernte Pflegefamilien gegeben werden, damit sie nicht als Roma aufwachsen sollten.
Kaiser Joseph II., der Sohn von Maria Theresia, erließ noch zusätzliche Bestimmungen: Die Roma durften ihre traditionelle Kleidung nicht tragen und vor allem ihre Sprache nicht mehr sprechen! Wer dabei erwischt wurde, „Zigeunersprache“ zu reden, wurde mit 24 Stockschlägen bestraft.
Viele Roma flohen vor diesen grausamen Maßnahmen, sie versteckten sich, um ihre Kinder zu retten, und gingen wieder auf die Wanderschaft. Es ist auch vorgekommen, dass Roma die Kinder, die man ihnen weggenommen hatte, zurückholten. Vielleicht ist so das Gerücht aufgekommen, dass die Roma kleine Kinder stehlen. Der kaiserliche Staat hatte nicht die Mittel, um die flüchtigen Roma wieder einzufangen und zurückzubringen. Das eigentliche Ergebnis war, dass diese Menschen, die ständig auf der Flucht waren, überall als billige Arbeitskräfte zur Verfügung standen, die man nach Belieben ausnutzen und wieder verjagen konnte.
Ähnliche Maßnahmen wurden auch in Deutschland und in Spanien versucht. König Karl III. von Spanien verbot den Roma das Umherziehen, ihre typische Kleidung, das Handeln mit Pferden und andere Wandergwerbe. Stattdessen sollten sie sich an einem Ort ihrer Wahl niederlassen und bei Handwerkern eine Anstellung suchen. Doch die Städte weigerten sich, die Roma aufzunehmen und die Handwerker wollten sie nicht anstellen. Daher mussten die Gitanos weiter als Wanderhandwerker herumziehen. Da sie aber jetzt illegal waren, mussten sie ihre Waren und ihre Arbeitskraft noch billiger verkaufen als vorher.